Geschäftsreise nach Nigeria – Das Land mit den meisten Stromausfällen weltweit
Ende März war Wolf-Dietrich Fugger, EWIAs Director West Africa, zusammen mit unserem Nigeria-erfahrenen Geschäftspartner Uwe Hassenkamp auf einer achttägigen Reise nach Nigeria mit Stationen in Lagos und Abuja. Mit seinem Reisebericht liefert er seine persönlichen Eindrücke zur Lage im Land und ein Business-Update zu den EWIA-Aktivitäten im westafrikanischen Powerhouse:
Nigerias neuer Präsident Bola Ahmed Tinubu hat die Bevölkerung bereits Mitte letzten Jahres mit einigen unpopulären Reformen überrascht. Wirtschaftlich waren sie längst überfällig. So wurden Mitte 2023 die Diesel-Subventionen zurückgenommen, was zu einer drastischen Erhöhung des Spritpreises (+50% im Jahresvergleich) und zu sozialen Spannungen geführt hat. Die Strompreise sind in 2024 um ca. 300% gestiegen. Gleichzeitig wird ein Abbau der Strompreissubventionen diskutiert, was den Preis für Netzstrom weiter in die Höhe treiben wird (… wenn er denn überhaupt verfügbar ist…).
Und bei der Ankunft am Sonntagabend in Lagos haben wir zunächst einmal festgestellt, dass die im letzten Jahr verabschiedeten Maßnahmen der Regierung gegen den Schwarzmarkt greifen und dazu geführt haben, dass wir bei den offiziellen Wechselstuben im Flughafen einen besseren Kurs beim Tausch in Naira (Kurs: 1 EUR = 1.700 Neira) bekommen haben als bei den unzähligen vielen Geldwechslern, die im Abholbereich des Flughafens versuchen, ihre Geschäfte zu machen.
Auf Stromausfälle können sich Nigerianer bislang verlassen
Das Land leidet extrem unter den regelmäßigen und nicht planbaren Stromausfällen, obwohl es über reichlich Ressourcen verfügt! In einigen Fällen wird der Strom in den Großstädten täglich für 10 Stunden und mehr abgeschaltet. Letztes Jahr ist das Stromnetz in Nigeria in größeren Teilen acht Mal zusammengebrochen! Und einmal gab es sogar einen Stromausfall, der die ganze Nation betraf: 220 Millionen Menschen saßen im Dunkeln.
Laut dem jüngsten
Bericht der Internationalen Energieagentur ist Nigeria das Land mit den meisten Stromausfällen weltweit. Dies ist vor allem auf die begrenzte Netzinfrastruktur und unzureichende Investitionen zurückzuführen, die die wirtschaftliche Entwicklung behindern.
Nigeria leidet stark unter dieser mangelhaften Stromversorgung. Die durchschnittliche Tagesproduktion von 4.100 Megawatt liegt weit unter dem täglichen Bedarf von 30.000 Megawatt. Das ölreiche Land in Westafrika – die größte Wirtschaft des Kontinents – ist daher nicht in der Lage, seinen eigenen Strombedarf zu decken.
Massive Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft
Diejenigen Unternehmen, die es sich bei einem Dieselpreis von 0,90 US-Dollar oder höher noch leisten können, verwenden Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung. Für Unternehmen, die es sich leisten können, PV-Anlagen zu installieren, liegt die Hauptmotivation nicht darin, ein bestimmtes Klimaziel zu erreichen oder ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Diese Überlegungen sind zweitrangig gegenüber dem Kosten-Nutzen-Verhältnis, das Solar-Systeme im Vergleich zu den vorhandenen Energiequellen des Kunden (d.h. in der Regel Netzstrom und/oder Dieselgeneratoren) aufweisen müssen. Ein potenzieller Entwickler muss den Endverbraucher von der Wettbewerbsfähigkeit der Stromkosten überzeugen, bevor ein System installiert werden kann.
PV-Systeme sind für Unternehmer in Nigeria – wie überall in Afrika – Rationalisierungsinvestitionen zum Zweck der Verbesserung bzw. Modernisierung der eigenen Energieversorgung. Angestrebt wird primär eine planbare und effizientere Stromversorgung und damit eine Kostensenkung. Sie müssen mit eigenen Mitteln finanziert werden und die Kosten senken. Nur wenn sich die Investition schnell bezahlt macht, wird sie von Unternehmen in Betracht gezogen.
Ein weiterer Grund für die Einführung von PV-Systemen sind die steigenden Kosten für die Selbsterzeugung und den Netzstrom, da die Regierung die teuren Energiesubventionen für Benzin und Strom langsam zurückfährt. Die Kosten für Diesel werden von der Regierung nicht subventioniert. Die lokalen Preise für den Rohstoff steigen, weil die Abwertung der Landeswährung Naira die Kosten für den Kraftstoff erhöht. Diese steigenden Kosten verbessern gleichzeitig aber die Wirtschaftlichkeit von PV-Systemen, und es ist davon auszugehen, dass diese in absehbarer Zukunft weiter steigen wird.
Um die Herausforderungen am Strommarkt zu bewältigen, hat die Regierung mehrere Initiativen auf den Weg gebracht, die im Einklang mit den Zielen der nationalen Energieagenda stehen und die dem Zugang zu sicherer, zuverlässiger und erschwinglicher Energie für die nigerianische Bevölkerung hohe Priorität einräumt. Politik und insbesondere auch die Industrie setzen daher verstärkt auf dezentrale, günstige und saubere Solarenergie. Ein weiterer Faktor, der die Einführung von PV-Systemen im ganzen Land begünstigt: Nigeria verfügt mit durchschnittlich etwa 3.000 Sonnenstunden pro Jahr über reichlich Solar-Ressourcen.
Neues Elektrizitätsgesetz eröffnet Möglichkeiten
Am 9. Juni 2023 hat die nigerianische Regierung ein Elektrizitätsgesetz verabschiedet, das eine Reihe von wichtigen Weichenstellungen vorgenommen hat. Unter anderem die Liberalisierung der nigerianischen Elektrizitätserzeugung, -übertragung und -verteilung auf nationaler Ebene, wobei Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen ermächtigt werden, Strom zu erzeugen, zu übertragen und zu verteilen.
Nach dem Gesetz können die Bundesstaaten Lizenzen an private Investoren vergeben, die auf ihrem Gebiet Mini-Netze und Kraftwerke betreiben dürfen. Das Gesetz schließt jedoch die zwischenstaatliche und grenzüberschreitende Stromverteilung aus. Das Gesetz erlaubt es privaten Investoren auch, (i) Erzeugungslizenzen, (ii) Übertragungslizenzen, (iii) Netzbetriebslizenzen, (iv) Handelslizenzen und (v) Verteilungs- und Versorgungslizenzen zu erhalten.
Dabei wird der Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energien Vorrang eingeräumt. Das Gesetz fördert die Integration von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien in das bestehende Netzsystem.
Das Gesetz führt auch Mechanismen ein, die Anreize für Investitionen in Projekte für erneuerbare Energien bieten, wie z. B. Einspeisetarife, die einen festen Preis für ins Netz eingespeisten Strom aus erneuerbaren Energien garantiert, sowie steuerliche Anreize.
Vor diesem Hintergrund haben wir viele Gespräche mit Unternehmen aus verschiedenen Branchen, aber auch mit hochrangigen Regierungsvertretern (u.a. Minister of Aviation) und Behörden, u.a. mit der Federal Housing Authority in Abuja, geführt. Die Solarenergie soll nun landesweit massiv gefördert und ausgebaut werden, z. B. soll jedes der insgesamt 36 Bundesländer Nigerias einen Solarpark zwischen 20 und 50 MW bekommen.
Das wichtigste Programm zum Ausbau der ländlichen dezentralen Energieversorgung ist das groß angelegte Nigeria Electrification Project. Das über eine halbe Milliarde US-Dollar umfassende Programm wird größtenteils von der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank finanziert. Es konzentriert sich auf PV-betriebene Mikronetze (Minigrids). Bis August 2023 wurden bereits 103 solcher Kleinstnetze mit einer Gesamtleistung von 5,6 Megawatt installiert. Auf nigerianischer Seite ist die staatliche Rural Electrification Agency (REA) für dieses und andere Elektrifizierungsprogramme zuständig.
Auch lässt die Regierung gerade 37.000 Häuser für Geringverdiener und bedürftige Menschen bauen, die mit Solaranlagen ausgestattet werden sollen.
Folglich waren die Tage in Nigeria vollständig mit Terminen mit potenziellen Kunden und Kooperationspartnern ausgebucht. Unter anderem haben wir mit Solarunternehmen, Immobilienprojektentwicklern, Steinbruchbetreibern, Betreibern von Mobilfunkinfrastruktur, zertifizierten Autotest-Centern, produzierenden Unternehmen und Consultingfirmen gesprochen. Fazit: Viele interessante Projekte auf dem Tisch, von denen erste zur Umsetzung vorbereitet werden. Eine erfolgreiche Reise, an die wir im Mai 2024 durch die geplante Gründung einer lokalen Gesellschaft in Nigeria und den Start der ersten Projekte anknüpfen möchten.