Apropos Afrika: Berliner Kongo-Konferenz – 140 Jahre später
Berliner Konferenz, Afrika-Konferenz oder Kongo-Konferenz – je nachdem, wen man fragt, erhält man unterschiedliche Namen für jene Veranstaltung, die vor 140 Jahren in Berlin auf Geheiß von Reichskanzler Otto von Bismarck stattfand und über das Schicksal eines ganzen Kontinents entschied. Zwischen dem 15. November 1884 und dem 26. Februar 1885 kamen in der Hauptstadt des Deutschen Reiches etliche Königshäuser, Reiche und Republiken zusammen, um Handelsrouten zu besprechen und Claims in Afrika abzustecken. Wohlgemerkt, ohne dass die Betroffenen anwesend gewesen wären: Kein einziger Afrikaner saß in Berlin am Tisch.
Eigentlich sollte es “nur” darum gehen, die Handelsfreiheit jener Kolonialmächte im Einzugsgebiet der Flüsse Kongo und Niger zu regeln und rechtssicher zu machen, denn jene europäischen Großmächte hatten sich vor allem an den Küsten Afrikas Handelsposten aufgebaut und das Innere des Kontinents noch kaum erschlossen.
Die Europäer, die zuvor selbst noch primär in Kleinststaaten gelebt hatten, hätten aus eigener Erfahrung wissen müssen, dass diese Grenzziehung in der Zukunft Kriege und Bürgerkriege begünstigen würde. Unter jenen Mächten, die nun nach Berlin defilierten, waren Erz- und Erbfeinde, die sich kurz zuvor noch auf dem Schlachtfeld begegnet waren. Preußen hatte 1870/71 Frankreich bekämpft und Elsaß-Lothringen ertrozt und dann erst das Deutsche Reich ausgerufen, 1866 hatten Österreich und Preußen die Klingen gekreuzt und im Jahr davor Dänemark und Preußen, an dessen Seite damals noch Österreich focht. Solange die Grenzen in Europa nicht angetastet wurden, konnte man sich einig werden und so gesehen war Bismarcks Konferenz ein großer diplomatischer Erfolg.
Die Kongoakte und ihre Folgen
In der Berliner Wilhelmstraße 77 fanden sich in der Reichskanzlei neben den europäischen und asiatischen Groß- und Mittelmächten Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Portugal, Osmanisches Reich, zaristisches Russland, Spanien, Schweden-Norwegen und dem Gastgeber auch die USA ein, die nur als Beobachter teilnahmen.
Binnen drei Monaten zurrten 13 Staaten ihre Ansprüche auf den rohstoffreichen Kontinent ungeniert fest. Festgehalten in der Schlussakte der Konferenz, der sogenannten “Kongoakte”, wurden in 38 Artikeln die Handelsfreiheit der Signierstaaten im gesamten Einzugsgebiet des Kongo sowie des Njassasees, das Recht auf den Erwerb einer Kolonie nur für die besetzende Nation, aber auch etwa ein Verbot des Sklavenhandels.
Während sich das Deutsche Reich Ansprüche auf Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia), Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika (das heutige Tansania) samt Sansibar sicherte, fiel das unbestrittene Kronjuwel – der Kongo – mit Belgien einem Staat zu, der im Konzert der Großmächte überhaupt keine Rolle spielte. Das Kongogebiet liegt fernab der Küsten und galt als unzugänglich. Ab 1879 hatte Belgiens König Leopold II. jedoch mittels des amerikanischen Abenteurers Henry Morton Stanley 450 Verträge mit lokalen Häuptlingen entlang des Kongo-Stroms ausgehandelt und sie dabei über den Tisch gezogen. Nicht nur verloren sie ihr Land für Plunder, ihre Arbeitskraft gehörte dem König ebenso. Die Konferenz besiegelte das Schicksal seiner afrikanischen Untertanen, denn Kongo – 80-mal so groß wie das winzige Belgien – fiel König Leopold II. höchstpersönlich zu, als Privatbesitz.
Im Endeffekt führte die Konferenz dazu, dass diese Nationen den Kontinent unter sich aufteilen und absolut willkürlich Grenzen zogen, die sich manchmal an etwa Flussverläufen oder Gebirgen ausrichteten oder der Einfachheit halber per Lineal erfolgte – ohne Rücksicht zu nehmen auf Stammesgebiete und soziale Strukturen.
Kongo beutete Belgiens Monarch brutalstmöglich aus, es lockten riesige Gewinne durch Kautschuk und Elfenbein. Bis zu zehn Millionen Menschen fielen seiner Herrschaft in dem riesigen Gebiet zum Opfer, das heute die Demokratische Republik Kongo ausmacht. Der polnisch-englische Schriftsteller Joseph Conrad thematisierte jene Gräuel in seiner Erzählung “Das Herz der Finsternis” von 1902, die vielen Leuten die Augen öffnete. Letztendlich musste Leopold II. den Kongo, den er im Gegensatz zu Conrad niemals betreten hat, 1908 an die belgische Regierung verkaufen.
An der Ecke Wilhelmstraße / Kolonnadenstraße erinnert heute eine Gedenktafel an die Afrika-Konferenz. Bismarcks Reichskanzlei existiert schon lange nicht mehr – im Gegensatz zu den oftmals willkürlich gezogenen Grenzen in Afrika.
Afrikas Weltkrieg
Was wurde aus dem Kongo? Mehr oder minder jenseits der Wahrnehmung der Industrieländer erlebte der Kontinent in den 1990er etwas, was man getrost “Afrikas Weltkrieg” nennen kann. Der Völkermord in Ruanda 1994 infizierte auch die benachbarte Demokratische Republik Kongo (bis 1997 hieß das Land Zaire), in der sich ohnehin Kleptokraten und Langzeitherrscher wie Mobutu Sese Seko und die Kabilas schamlos bedienten. Die Hutu-Völkermörder Ruandas flohen in den Kongo, wo ebenfalls Hutu leben. Die überlebenden Tutsi verfolgten sie und sechs Armeen angrenzender Länder mischten neben unzähligen Milizen ebenfalls mit und plünderten den Kongo dabei aus. Schätzungsweise sechs Millionen Menschen starben zwischen 1993 und 2003 im Kongo, zusätzlich zu den 800.000 Menschen in Ruanda. Jenseits von Afrika wurde davon kaum Notiz genommen.
Afrika heute
Im Jahr 2000 lebten 831 Millionen Menschen in Afrika, heute sind es 1,5 Milliarden. Die 54 Staaten des Kontinents sind unterschiedlich stark entwickelt. Die Bevölkerung des Kontinents ist die jüngste weltweit, das Bevölkerungswachstum – und damit auch das Marktpotenzial – ist massiv. Auch viele Ökonomien wachsen rasant: Der IWF geht in seinem World Economic Outlook vom April davon aus, dass 2024 neun der 20 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften des Planeten afrikanische sein werden, nämlich Niger, Senegal, Libyen, Ruanda, Elfenbeinküste, Djibouti, Äthiopien, Gambia und Benin. Insgesamt verzeichnen die Subsahara-Länder mit einem durchschnittlichen Wachstum 2024 von 3,8% ein größeres Wachstum als der Weltdurchschnitt (3,2%).
Das wachsende Gewicht des Kontinents macht sich nun auch in Organisationen und Bündnissen bemerkbar. Mit Ägypten und Äthiopien trat nun nach Südafrika der dritte afrikanische Staat dem BRICS-Bündnis bei. Etliche afrikanische Staaten bekunden Interesse an einer Kooperation in diesem Rahmen.
Wird es Zeit für eine zweite Afrika-Konferenz?
Die Bundesregierung hat durchaus verstanden, dass die Beziehungen zu den Staaten Afrikas essentiell sind mit Hinblick auf Klimawandel, Migration, Ressourcen, Antiterror-Zusammenarbeit, aber auch die als problematisch wahrgenommene starke Präsenz Russlands und Chinas.
Die Zusammenarbeit im von Deutschland initiierten G20-Format “Compact with Africa” unterstreicht den Willen, als Partner auf Augenhöhe, auf den Wachstumskontinent schlechthin zuzugehen. Bis dato haben sich dreizehn afrikanische Länder der Initiative angeschlossen, die Investments des Privatsektors nach Afrika bringen soll, nämlich Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Demokratische Republik Kongo, Ägypten, Äthiopien, Ghana, Guinea, Marokko, Ruanda, Senegal, Togo und Tunesien.
Im Grunde genommen müsste es eine zweite, ganz anders gelagerte Afrika-Konferenz geben – mit so vielen Afrikanern am Tisch wie möglich.
Bildkredit: Von Adalbert von Rößler (†1922) – Allgemeine Illustrierte Zeitung, S.308; Am 28. April 2006 von Morty in die deutschsprachige Wikipedia geladen., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4259336