“Life-changing”: Was Strom in Kamerun bedeutet – ein Reisebericht

“Life-changing”: Was Strom in Kamerun bedeutet – ein Reisebericht
Nach unserem Merger mit SunErgy im April haben wir nun auch eine Präsenz in Kamerun. Dieser Schritt erweitert unser Geschäftsmodell und unseren “solaren Fußabdruck”, weil wir damit nicht nur Unternehmen PV-Anlagen finanzieren, sondern auch ganzen Dorfgemeinschaften. Und wir sind erstmals in einem Land aktiv, das nicht nur Englisch als Amtssprache hat, sondern auch Französisch.

Ralph Schneider und Timo Schäfer besuchten jüngst abermals Kamerun und schildern hier ihre Eindrücke aus dem Land, das oftmals “Afrika im Kleinen” genannt wird, weil es eine erhebliche Vielfalt mit Hinblick auf Landschaften, Klimazonen, Fauna, Stämme und Sprachen bereithält. Willkommen in einem Land, das etwa eineinhalb mal so groß ist wie Deutschland, aber nur gut ein Drittel seiner Einwohner hat. A propos Deutschland: Kamerun war zwischen 1884 (also nach der berüchtigten Berliner Kongo-Konferenz) und 1919 Kolonie des Deutschen Reiches.

Tag 1: Anreise nach Yaounde, digitale Strapazen und Yannick Noah
Wir fliegen nach einem deftigen Weißwurstfrühstück von München über Brüssel nach Yaounde. Ehe wir um 20.00 Uhr die politische Hauptstadt von Kamerun erreichen, landen wir zwischendurch noch in Douala, dem wirtschaftlichen Zentrum.

Wir reisen mit einem E-Visa ein und die Formalitäten gestalten sich recht chaotisch. Im Anschluss scheitern wir beim Geldwechseln, da aufgrund des schlechten Internet kein Bankautomat funktionierte. Also begnügen wir uns mit ein wenig Cash, das wir zwischen dem Ausgang des Flughafens von Yaounde und dem ATM von einem Geldwechsler erhalten.

Ab geht es per Taxi zum Hotel Village Noah, dessen Eigentümer der ehemalige französische Tennisstar Yannick Noah ist, der Wurzeln in Kamerun hat und außerdem ein erfolgreicher Sänger ist. Der Check-in um 22:00 Uhr gestaltet sich schwierig, aber die Zimmer sind super. Wir nehmen ein spätes Abendessen um Mitternacht ein und fallen erschöpft ins Bett.

Tag 2:  Treffen mit der Botschaft, pünktliche Züge, Ankunft in Douala – und eine Menge Regen
Heute geht es von Yaounde nach Douala. Wir haben noch keine Zugtickets. Diese kann man nur online mit MTN MoMo (Mobile Money) kaufen. Unser Französisch ist zu schlecht, als dass wir uns mit der Rezeptionistin verständigen können. Auch müssen Kopien unserer Pässe erstellt werden. Der Hotel-Manager spricht Englisch, was beim Kauf der Tickets und der Organisation der Fahrt zum Zug enorm hilft.

Vorher jedoch treffen wir noch den Stellvertretenden Botschafter Paul Sonntag im “Cosy Pool”. Das kleine Restaurant bietet eine gute Küche zu ordentlichen Preisen, wir sind dennoch die einzigen Gäste unter freiem Himmel. Wahrscheinlich sind die Kameruner einfach schlauer als wir, denn im Land herrscht Regenzeit. Sie dauert fast sieben Monate, verläuft aber ganz anders als in Ghana. Irgendwie regnet es oft und andauernd. Die Temperaturen sind jedoch annehmbar.

Noch zu wenig deutsche Unternehmen vor Ort
Wir erfahren, dass die deutsche Botschafterin in den Ruhestand gegangen ist und der neue Botschafter erst nächste Woche eintrifft, und tauschen uns über die wirtschaftliche und politische Situation im Land aus. Leider sind nur sehr wenige Unternehmen aus Deutschland in Kamerun tätig.

Als wir erzählen, dass wir mit dem Zug nach Douala fahren wollen, ernten wir überall Stirnrunzeln und Unverständnis. Niemand, der bei Trost ist, fährt in Kamerun Zug. Dennoch, wir wollen es wagen.

Ab zum Bahnhof
Es geht damit los, dass das Taxi nicht kommt. Das Hotel stellt uns netterweise Wagen und Fahrer. Der Kofferraum geht aber nicht auf und nur mit roher Gewalt richtig zu. 45 Minuten brauchen wir durch den extremen Verkehr zum Bahnhof. Das Einchecken ist ohne Hilfe nicht möglich. Der beherzte Kofferträger schultert gleich beide Koffer auf einmal. Am Eingang des Bahnhofs wird unser Gepäck durchsucht und gewogen. Die Tickets werden mindestens drei Mal kontrolliert. Kofferanhänger werden per Hand erstellt, das

Oldtimer mit Updates
Der Zug, der pünktlich um 17:00 Uhr abfährt,  ist quasi ein Oldtimer, aber verfügt nach Umbauten nun über Air Condition, Fernseher mit Videos und Ledersitze. Die Zugfahrt, die uns ca. 15 € pro Person kostet, dauert fünf Stunden. Wir fahren Erster Klasse, eine Hostess bringt uns zum Platz. Die Gleise stammen noch aus besagter deutscher Kolonialzeit. Die Wagons sind nur unwesentlich jünger, aber klimatisiert und mit halbwegs bequemen Sitzen ausgestattet. Die Toiletten funktionieren und sind sauber. Im Zug gibt es nur fünf Weiße, inklusive uns. So fühlt es sich also an, die Minderheit zu sein. Offen gesagt ist so ein Perspektivwechsel sehr zu empfehlen!

In Richtung Douala durchqueren wir tropische Regenwälder und sehr schöne Landschaften. Der Nachteil der Äquatornähe ist jedoch, dass es um 18:30 Uhr bereits dunkel ist und wir von der tollen Aussicht nicht viel mitbekommen. Der Lokomotivführer hupt die ganze Zeit und lässt sein Horn im 10-Sekundentakt erklingen. Fünf Stunden lang. Als es dunkel wird, schlagen auch wir uns zum Speisewagen durch. Jeder Wagonwechsel ist ein Abenteuer. Der Speisewagen ist voll. Dennoch bekommen wir einen Platz. Anders als in Deutschland gibt es an Bord noch eine richtige Küche, aus der regelmäßig Hähnchen, Fleisch, Fisch und alle möglichen Beilagen kommen. Aber die meisten Passagiere trinken nur viel. Bier oder Mischgetränke mit Whisky darin.

In Douala kommen wir nach nur drei Zwischenstopps ebenfalls pünktlich um 22:00 Uhr an. Grüße an die Deutsche Bahn!

Regen = kein Internet
In der Wirtschaftsmetropole herrscht die übliche Hektik. Wir warten auf unser Gepäck. Als wir den Bahnhof endlich verlassen, regnet es erneut. Uber gibt es nicht, dafür die Yango App, die zum Yandex-Imperium, dem russischen Google, gehört und nur bedingt funktioniert. Endlich finden wir einen Taxifahrer, der bereit ist, uns zu fahren. In einer Melange aus Französisch und Englisch versuchen wir, ihm die Adresse zu vermitteln. Google Maps kann er nicht lesen,zudem regnet es, was sich auf die Internetverbindung auswirkt.

Wir rufen unseren AIRBnB-Host an, der alles geduldig am Telefon erklärt. Gegen 23:00 Uhr erreichen wir dann endlich die wirklich schöne Wohnung. Wasser ist im Kühlschrank. Essen: Fehlanzeige. Also Kekse zum Abendessen.

Tag 3: Rough Road, Wechselrichter… und es ward Licht!
Nach dem Aufwachen finden wir nach einer Weile  eine kleine Bäckerei, deren Auswahl überschaubar und typisch afrikanisch ist. Baguette, Brioche, wir kaufen auch Schokoteile.

Weil das GPS – natürlich – nicht funktioniert, dauert es eine Weile, bis wir Mike Fohba, unseren lokalen Geschäftsführer, am Telefon zu uns lotsen können. Um 09:00 Uhr kommt Mike, der in Limbe losfuhr, nach mehr als drei Stunden Fahrt bei uns an. Das Nadelöhr ist

Bonabera. Es gibt nur eine Straße rein und raus aus Douala, die Straßen sind katastrophal, der Verkehr ist mörderisch und Spuren werden sehr großzügig ausgelegt. Dazu kommen Regenzeit, Schlamm und so tiefe Schlaglöcher, dass man selbst mit dem Toyota Hilux Achsbruch befürchten muss.

Licht und Schatten
Wir kämpfen uns mehrere Stunden durch den Verkehr. Auf dem Land geht es besser. Wir lassen die Hauptstraße hinter uns und erreichen über unbefestigte Pisten jene von SunErgy elektrifizierten Dörfer Kotto Up, Kotto Nachtigall und Matouke. Drei Anlagen schauen wir uns an. Ihr Zustand ist stark überholungsbedürftig, Batterien sind teilweise nur notdürftig tüchtig gemacht, manche Module sind kaputt. Hier müssen wir also ran. Wir sehen aber auch, dass in Kotto Nachtigall drei unserer neuen Wechselrichter installiert und die alten ELTEC Maschinen überbrückt wurden, somit ist das Dorf wieder vollumfänglich versorgt. In Motouke arbeitet ein weiterer neuer Wechselrichter auf Probe. Das System funktioniert. Jetzt können wir die weiteren Wechselrichter bestellen.

Aufbruch in das digitale Zeitalter
Noch passiert hier alles analog. Unser Ableser für die Zähler fährt mit dem Motorrad (das wir zur Verfügung stellen) die Häuser ab. Die Orte erstrecken sich über mehrere Kilometer. Bis dato wurde alle Daten händisch notiert, in Excel übertragen, übermittelt, dann die Rechnungen ausgedruckt. Das sind sehr viele Möglichkeiten, um Fehler zu machen, so  dass die von uns verteilten Tablets die Mitarbeiter entlasten sollten. Künftig ist eine Bilddokumentation der Zähler und eine elektronische Übermittlung möglich. Somit sparen wir uns alleine mehr als 10.000 Ausdrucke pro Jahr, also Drucke-, Toner- und Ablagekosten, ganz zu schweigen vom Papier.

Nun geht es zurück. Die Rückfahrt wird jedoch zur Tortur. Seit dem Frühstück gab es kein Essen. Bonabera wird erneut zum Nadelöhr. Manchmal stehen 15 Minuten, ohne dass wir uns auch nur einen Meter bewegen.

Warum  wir das alles auf uns nehmen? Der Menschen wegen.
Der Besuch bei SunErgy, unserem Tochterunternehmen, war weit mehr als eine Dienstreise. Es war eine Reise zu den Menschen, zu ihren Geschichten – und zur Zukunft der Energieversorgung in Regionen, die bisher abgehängt waren. In Kamerun haben wir fünf Solar-Mini-Grid-Anlagen besucht, die seit Jahren zuverlässig Strom in entlegene Dörfer bringen. Das Engagement unseres kamerunischen Teams ist sensationell. Mit Herzblut, Kompetenz und dem tiefen Glauben an Fortschritt arbeiten sie täglich an Veränderung – von innen heraus.

Durch ihr Engagement konnten bereits Hunderte von Familien mit sauberer, nachhaltiger Energie versorgt werden – alle davon zum ersten Mal in ihrem Leben. Besonders beeindruckend war der Besuch eines neuen Dorfes, das wir in Kürze elektrifizieren möchten. Über 1.000 Familien leben dort bisher ohne Zugang zu Licht. Für viele Kinder bedeutet das: kein Lernen nach Sonnenuntergang, kein sicherer Raum am Abend.

📚 Licht bedeutet Bildung.

📈 Bildung bedeutet Entwicklung.

🌟 Und Entwicklung bedeutet Zukunft.

Unsere Projekte vor Ort zeigen ganz klar, dass Investitionen in dezentrale erneuerbare Energien nicht nur ökonomisch und ökologisch sinnvoll, sondern auch sozial wirksam sind.

Unsere Mitarbeiter wissen selbst am besten, was Strom bedeutet für das Dorf
Beim Besuch eines unserer Dörfer hatten wir Gelegenheit mit Christabelle zu sprechen, die bereits vier Jahre für SunErgy arbeitet. Wir fragten sie, ob sie gerne für uns arbeitet. Ihre Antwort war verblüffend. Nicht nur, dass sie mit “I love it“ antwortete. Die Kernaussage, die dann folgte, war: „It changed my life!“

Und das stimmte. Die junge Frau war schon recht gut ausgebildet. Aber als Frau, in einem Dorf im Nirgendwo, ohne Job, ohne sinnvolle Tätigkeit, waren ihre Zukunftsaussichten recht überschaubar. Durch die Photovoltaikanlage, die wir betreiben, konnten wir mehrere Mitarbeiter einstellen. Unter anderem Christabelle als Kassiererin. Sie konnte sich regelmäßig weiterbilden und hat ein solides, stabiles Einkommen, was ihr Ansehen verschafft. Und sie hat die Möglichkeit, über IT und Internet auf dem Laufenden zu bleiben und sich weiterzuentwickeln. Jetzt ist sie verheiratet, hat einen kleinen Sohn und ist mittlerweile Eigentümerin eines kleinen Häuschen. So sieht Wohlstand in Kamerun aus.

It changed her life!

Wow.

Jetzt geht es für uns zurück. Wir müssen noch einkaufen. Mike besteht darauf, dass wir einen Spar (deutscher Supermarkt) aufsuchen. Es schüttet nach wie vor wie aus Eimern. Der Supermarkt bietet, was das Herz begehrt, und wir kaufen für mehr als 150 Euro ein. Natürlich gehen auch einige Einkäufe der Angestellten auf unsere Kreditkarte. Es ist festzustellen, dass jedes halbwegs westliche Produkt 20-50% teurer ist als in München, also nahezu unerschwinglich für die einheimische Bevölkerung.

Gegen 21:00 Uhr sind wir zurück in der Wohnung. Mike kämpft sich zurück durch den Verkehr zu seinem Wohnort. Für weniger als 60 Kilometer wird er weitere 3-4 Stunden brauchen, so dass er insgesamt mehr als 18 Stunden unterwegs war, mehrheitlich am Steuer. Im Restaurant Kiku essen wir noch gut zu Abend.

Fazit
Unser Abstecher war so strapaziös wie lehrreich. Wir haben uns sehr gefreut, das Team live in Action zu sehen und vor allem die Auswirkungen ihrer Arbeit, Energie ist Fortschritt, ganze Dörfer haben nun ganz neue Möglichkeiten und das ist toll zu sehen.

Zusammenfassend können wir sagen, dass es in den Bereichen (digitale) Infrastruktur und auch bei der Energieversorgung großen Nachholbedarf gibt. Strom und Internet fallen selbst in den Metropolen häufig aus. Sobald es regnet, muss man damit rechnen. Politisch herrscht Stagnation. Der amtierende Präsident Paul Biya tritt nach 42 Jahren Herrschaft mit 92 Jahren ein weiteres Mal bei den Wahlen an. Das Land wirkt deswegen wie gelähmt. Auch die Situation mit dem Nachbarland Äquatorialguinea ist schwierig.

Doch trotz aller Herausforderungen, vor denen das Land steht, kann sich das Wachstum der vergangenen Jahre absolut sehen lassen:

  • 2020: 0,5 % (Coronajahr)
  • 2021: 3,6%
  • 2022: 3,6%
  • 2023: 4,0%
  • 2024: 4,1% (Prognose)
  • 2025: 4,4% (Prognose)

Kamerun steht am Anfang seiner Entwicklung. Und wir wollen bei der Aufholjagd dabei sein. Das Land hat uns begeistert mit seiner atemberaubenden Natur, faszinierenden Kultur – und seinem riesigen Potenzial für eine nachhaltige Energiezukunft.

Wir freuen uns schon jetzt auf den nächsten Besuch – und darauf zu sehen, wie unsere Vision weiter Wirklichkeit wird. Folgen Sie uns gerne bei LinkedIn, Instagram und Facebook, um auf dem Laufenden zu bleiben.

 


Jonathan Baumann

Beitrag von

Jonathan Baumann

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